
Von Reben, Rebellen und Freigeistern
Als Schnittstelle zwischen alpinem und mediterranem Klima hat Südtirol die besten Voraussetzungen für Weinbau. Ein paar Quergeister und eine neue junge Weinszene zeigen, wie spannend Vernatsch und Co sein können.
Text von Christina Fieber Foto von Loacker Wine Estates
Es ist ein prachtvoller Herbsttag – ein Bild wie aus der Tourismuswerbung: saftige grüne Almen, schmucke Bauernhöfe, jede Menge Weinberge und im Hintergrund die Dolomiten mit ihren markanten schroffen Felszacken.
Im Talkessel von Bozen misst man selbst jetzt im Oktober tagsüber noch hochsommerliche Temperaturen. Fährt man jedoch die kurvige Straße hinauf zum Weingut Pranzegg, sinkt die Temperaturanzeige im Auto rapide. Hier oben in Kampill, auf den nordwestlich ausgerichteten Steilhängen, herrscht ein komplett anderes Klima – die kühlen Herbstwinde vom Gebirge machen sich deutlich bemerkbar.
Für Martin Gojer ideale Bedingungen, um seine Vorstellung von Wein zu verwirklichen. Früher hätten ihn die Leute wegen der kühlen Nordwestlagen verspottet. Sie waren überzeugt, gute Weine können nur auf der warmen Südseite gedeihen: „Was wollt ihr dort drüben schon für einen Wein machen, da wächst ja nichts G’scheites.“
Jetzt mit der Klimaerwärmung beneide man ihn darum, erzählt Martin Gojer, und es schwingt ein wenig Genugtuung mit. Auch der internationale Trend zu eleganteren Weinen mit weniger Alkohol kommt ihm entgegen. Der junge Winzer ist ein Meister feingeschliffener Gewächse und eine der Gallionsfiguren der neuen Südtiroler Weinszene.
Die Weinregion im äußersten Norden Italiens produzierte nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend billigen Massenwein von zweifelhafter Qualität: Kalterer See und St. Magdalener wurden zum Synonym für weitgehend belanglose Tropfen. Erst in den 1980er-Jahren begann ein Umdenken in Richtung Qualität. Die heimischen Sorten wurden vielfach ausgerissen und durch internationale Sorten wie Chardonnay oder Merlot ersetzt. Damit ging aber auch eine gewisse Uniformität und Verwechselbarkeit einher. Alte Sorten wie Vernatsch waren unter Weinkennern verpönt.
Jetzt erleben sie eine Renaissance: Junge Winzer wie Martin Gojer beweisen, wie viel Klasse in der alten regionalen Rebsorte steckt, wenn man sie ernst nimmt, und entlocken ihr ungeahnte Raffinesse und Tiefgang.
Neben den kühlen Lagen und biodynamischem Weinbau, der für frühere physiologische Reife der Trauben sorgt, setzt Gojer bei den regionalen Sorten Vernatsch und Lagrein auch auf die traditionelle Reberziehungsform Südtirols, die Pergel. Dabei legen sich die Reben über ein baldachinartiges Gerüst – ein pflegeintensives System, das den wirtschaftlichen Anforderungen der Zeit irgendwann nicht mehr angemessen erschien und der weitaus effizienteren Einheitsnormalerziehung weichen musste. Für den jungen Winzer jedoch die Erziehungsform der Wahl: „Wir sind ohnehin nicht auf Konzentration und hohe Zuckerwerte aus“, erklärt er, die Pergel biete der Rebe Platz, um sich auszubreiten. Die Versorgung der Pflanze mit Wasser und Nährstoffen erfolge so gleichmäßiger und seine Weine geraten noch feingliedriger. Martin Gojer verfügt über ein außergewöhnliches Gespür für die Bedürfnisse der Rebstöcke. Das kommt auch von seinem früheren Beruf als Berater für den sogenannten „Sanften Rebschnitt“, eine alte Technik, die weitgehend verloren ging. Rebschnitt und Erziehung werden den Bedürfnissen der Pflanze so angepasst, dass sie letztlich gesünder bleibt.
Vor allem der Lagrein sei eine Sorte, die sich gerne hinlegt, erklärt der Winzer. Die Pergel-Erziehung erlaube ihm das. Die Rebe wird nicht, wie etwa bei der Drahtrahmenerziehung, ständig gezwungen, immer weiter nach oben zu wachsen. „Gestresste Trauben ergeben gestresste Weine“, ist Gojer überzeugt.
Tatsächlich wirken seine Rebstöcke komplett entspannt: Wie träge Riesenschlangen nach üppiger Mahlzeit ruhen sie auf der Pergel und genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Entsprechend gelöst trinken sich auch seine Weine. Vielleicht, weil sie auch im Keller eine weitgehend stressfreie Zeit erlebten – man stört sie nicht gerne in ihrer Entwicklung: spontane Gärung mit natürlichen Hefen, lange Maischestandzeiten, zuweilen auch Maischegärung mit Stielen, dann Entspannung pur im großen Holz- oder Betonfass.
Aber die Südtiroler scheinen konservative Trinker zu sein. Opulente Rot- und brachial fruchtige Weißweine beherrschen immer noch die Szene. Gewächse abseits des Gewohnten verirren sich kaum in die Weinkarten hiesiger Restaurants. Nur eine Handvoll gehobener Betriebe wagt es, Weine anzubieten, die nicht dem normierten Geschmacksbild entsprechen.
Mehr und mehr Winzer, die oft nicht mehr als einige Hektar Rebland besitzen, haben dennoch keine Lust mehr, auf ausgetrampelten Wegen weiterzumarschieren: Über Jahrzehnte lieferten sie ihre Trauben an die großen Kellereien ab, nun wollen sie für sich selbst arbeiten.
Wie etwa die Gruppe Freistil, bei der auch Martin Gojer dabei ist. Sie bewirtschaftet biologisch oder biodynamisch, übt im Keller Zurückhaltung und will nichts weniger als die unterschiedlichen Terroirs der einzelnen Region exakt herausarbeiten – vom kühlen Vinschgau und Eisacktal bis ins mediterran geprägte Unterland.
Christian Kerschbaumer vom Weingut Garlider etwa besitzt vier Hektar Mittelgebirgslagen im Eisacktal, die er vorwiegend mit Weißweinen bepflanzt. Auch mit solchen, die in der Weinwelt keinen sonderlich guten Ruf besitzen, wie etwa Sylvaner oder Müller-Thurgau. Die warmen, sonnigen Tage und äußerst kühlen Nächte des Gebirgstals verleihen seinen Gewächsen eine Spannung und Filigranität, die man in Italien sonst kaum findet. Für seinen Sylvaner hat er im renommierten italienischen Weinführer Gambero Rosso sogar schon die höchste Bewertung „Tre Bicchieri“ bekommen.
Mit von der Partie bei Freistil sind auch Urban Plattner und Thomas Niedermayr, die eigenständige Weine abseits des Mainstreams abliefern. Leicht haben sie es damit nicht – ohne die wesentlich aufgeschlosseneren Märkte im Ausland wären sie verloren.
Südtirols Weinszene entwickelt sich scheinbar einen Tick langsamer als die ihrer Nachbarn: Die Landwirtschaft ist kleinteilig, viele Winzer besitzen nur wenige Hektar und gehen lieber auf Nummer sicher. Sie arbeiten für die Kellereien, die konstant hohe Preise zahlen. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele genossenschaftlich organisierte Kellereien wie in Südtirol, die zwar auf relativ hohem Niveau produzieren, aber auch die Entwicklung des Weinbaus in Richtung eigenständige Stilistik bremsen.
So hat etwa die Kellerei Tramin, für die 290 Betriebe nicht weniger als 260 Hektar bearbeiten, erst jüngst für ihren Gewürztraminer 100 Parker-Punkte abgeräumt. Eine kleine Sensation: Erstmals erlangte ein Weißwein aus Italien die begehrte Höchstwertung des bekannten US- Fachmagazins Wine Advocate.
70 Prozent aller Südtiroler Weine kommen von den großen Kellereien, die naturgemäß die Marschroute bestimmen. Der Rest war lange Zeit weitgehend auf sich selbst gestellt. Erst seit 1999 gibt es den unabhängigen Verein Freie Weinbauern Südtirols, der sich für die Belange von Familienbetrieben einsetzt. Er hat sich die Förderung von „Unabhängigkeit und individueller Weinstilistik in all ihrer Diversität“ auf die Fahnen geheftet. Seither hat auch die Anzahl der Bio-Weinbetriebe zugelegt.
Einer der Bio-Pioniere war das Weingut Loacker, was damals auf völlige Ablehnung stieß: „Zu Beginn haben wir in Südtirol keine einzige Flasche verkauft“, erinnert sich Hayo Loacker, dessen Vater schon 1979 als eines der ersten Weingüter im deutschsprachigen Raum etappenweise auf Bio umstellte. In den Augen der Kollegen ein Sonderling, den man argwöhnisch beäugte. Rainer Loacker produzierte dazumal homöopathische Mittel, die heute auch im Weingarten eingesetzt werden. Der Weg zur biodynamischen Bewirtschaftung war danach naheliegend.
Die Loackers besitzen Traumlagen auf der Sonnenseite von Bozen und seit einigen Jahren auch zwei Weingüter in der Toskana. Der Schwarhof in Südtirol ist ein kleines idyllisch hoch über Bozen gelegenes Anwesen mit einem atemberaubenden Blick bis in die Dolomiten. Im Keller ist es klein und eng. Vergoren wird traditionell in über 30 Jahre alten Holzgärständern. Trotzdem regiert auch hier moderne Önologie: Hayo Loacker hat im Burgund studiert und präferiert eine klassische französische Stilistik und reintönige Weine. Dem derzeitigen internationalen Trend maischevergorener Weine steht er skeptisch gegenüber, wenngleich heuer erstmals auch ein Sauvignon blanc in der Amphore gärt.
Bio-Weinbau fällt in Südtirol immer noch unter das Minderheitenprogramm: Mit einem Anteil von etwa fünf Prozent liegt man weit unter dem italienischen Schnitt. „Die kleinen Betriebe trauen sich halt nicht drüber“, glaubt Loacker, „die haben weder das Know-how noch den finanziellen Polster für solche Abenteuer!“ Zudem seien sie von den offiziellen Landesberatungsstellen abhängig, und die würden sich mit Händen und Füßen dagegen wehren.
Umso wichtiger für die Region sind renommierte Betriebe wie das Weingut Manincor oder Alois Lageder, der seit den 1990er-Jahren biologisch, seit 2004 zertifiziert biodynamisch wirtschaftet. Mit 50 Hektar eigenen Weingärten ein für Südtiroler Verhältnisse geradezu gigantischer Betrieb. Lageder ist strikter Biodynamiker, der das volle Programm anwendet: von Präparaten aus Kamillenblüten im Rinderdarm bis zum Vergraben mit Kuhfladen gefüllter Hörner. Er ist kein Esoteriker, sondern letztlich ein erfahrener Unternehmer, der von der positiven Wirkung der Behandlungen überzeugt ist. Die Lageders sind umtriebige Menschen. Sie organisieren Kulturfestivals, fördern Künstler und veranstalten jedes Jahr eine exklusive Weinmesse in ihrem Schloss. Aber auch önologisch sind sie am Puls der Zeit: Als eine der Ersten setzten sie in den 1980er-Jahren auf internationale und exotische Sorten, heute bemühen sie sich um selten gewordene heimische Rebsorten und alternative Ausbaumethoden, die seit zwei Jahren unter dem Namen „Kometen“ auf den Markt kommen:
„Um Neues zu wagen und Grenzen auszuloten“, erklärt der Sohn von Alois, Clemens Lageder das ungewöhnliche Projekt.
Auch Heinrich Mayr vom Nusserhof kämpft um das Bestehen alter Sorten, die quasi vom Aussterben bedroht sind – freilich mit wesentlich bescheideneren Mitteln: Mayr besitzt gerade einmal ein paar Hektar in der Nähe von Bozen, die er seit 25 Jahren biologisch bewirtschaftet. Der eigenwillige Winzer, der weder eine eigene Homepage noch sonst in irgendeiner Weise Marketing betreibt, hat einen Narren an der alten Südtiroler Weißweinsorte Blatterle gefressen. Die Sache hat nur einen Haken: Sie ist so alt, dass sie von der Weinbaubehörde nicht mehr als „klassifizierte Rebsorte“ deklariert wird. Freilich gibt es Ausnahmebestimmungen, für wissenschaftliche Untersuchungen etwa; allein, will man Blatterle als Qualitätswein abfüllen, darf man nicht mehr draufschreiben, was drinnen ist. Blatterle ist weder ungenießbar noch gesundheitsschädlich, er ist einfach nur zu alt. Der findige Winzer weiß sich zu helfen und schreibt jetzt einfach nur mehr „B......E“ aufs Etikett.
Ohne ihn und eine Handvoll anderer Sturköpfe gäbe es die historische Sorte gar nicht mehr. Aber Mayr stammt aus einer Familie von Quergeistern: Sein Großvater hatte einst den Eid auf Adolf Hitler verweigert und wurde hingerichtet. Nach dem Krieg sollte der Hof im Zuge der Stadterweiterung Bozens enteignet und abgerissen werden – jetzt steht er unter Schutz, und Mayr macht weiter einen Wein, den es offiziell nicht mehr gibt.
Es sind so eigenwillige Persönlichkeiten wie Heinrich Mayr, die der Südtiroler Weinszene eine unverwechselbare Identität geben. Winzer, die sich trauen, eigene Wege zu gehen. Wie eben auch Martin Gojer, der dem völlig in Verruf geratenen Vernatsch wieder neues Leben einhaucht, ihm einen lässigen, zeitgeistigen Anstrich verleiht: „Vernatsch hat das Zeug, zum önologischen Botschafter Südtirols zu werden!“, ist er überzeugt und schenkt einen rosaroten, prickelnden Vernatsch-Pet-Nat ins Glas.
Weingut Pranzegg
Martin Gojer ist eine der Leitfiguren der neuen Südtiroler Weinszene. Auf knapp drei Hektar werden seine finessenreichen Naturweine aus vorwiegend autochthonen Sorten produziert.
39100 Bozen
www.pranzegg.com
Bezugsquelle: www.vinonudo.at
Weingut Garlider
Im kühlen Eisacktal hat sich Christian Kerschbaumer auf filigrane Weißweine wie Sylvaner, Müller-Thurgau und Grüner Veltliner spezialisiert.
39040 Felthurns
www.garlider.it
Bezugsquelle: www.vinonudo.at
In der Eben
Die drei Hektar Weinberge von Urban Plattner liegen idyllisch auf der Bozner Sonnenseite an den Hängen des Ritten. Seit 1993 arbeitet man zertifiziert biologisch, jetzt biodynamisch. Herrlich puristischer Vernatsch, Malvasier und Gewürztraminer.
39053 Kardaun
www.indereben.com
Bezugsquelle: www.weindiele.com
Hof Gandberg
Thomas Niedermayr bewirtschaftet nur zwei Hektar Weinberge oberhalb von Eppan. Er setzte als einer der Ersten der Region auf pilzresistente Rebsorten wie Solaris, Souvignier gris und Cabernet Cortis und keltert daraus komplexe Weinraritäten.
39057 Eppan a. d. Weinstraße
www.thomas-niedermayr.com
Bezugsquelle: www.meranerweinhaus.com
Weingut Loacker
Rainer Loacker war Bioweinbauer der ersten Stunde, heute führen seine Söhne das renommierte Weingut an den Sonnenhängen des Bozner Kessels. Produziert werden charaktervolle heimische und internationale Sorten im klassischen Stil.
39100 Bozen
www.loacker.net
Bezugsquelle: www.weinhandelshaus.at
Weingut Alois Lageder
Alois Lageder ist einer der ganz Großen der Südtiroler Weinszene. Der überzeugte Biodynamiker ist auch international mit seinen Weiß- und Rotweinen höchst erfolgreich. Sein Sohn Clemens leitet jetzt das Projekt „Kometen“, für das man alte vergessene oder exotische Sorten ausbaut und mit alternativen Weinstilen experimentiert.
39040 Margreid
www.aloislageder.eu
Bezugsquelle: mwww.weinco.at
Manincor
Michael Graf Goëss-Enzenberg bewirtschaftet 50 Hektar Weinberge nach biodynamischen Richtlinien. Er ist Mitglied der in Österreich gegründeten Winzergruppe „Respekt-Biodyn“. Vinifiziert werden vorwiegend internationale und einige heimische Sorten. Herausragend: der Sauvignon Blanc Lieben Aich.
39052 Kaltern
www.manincor.com
Bezugsquelle: www.wagnersweinshop.at
Nusserhof
Heinrich Mayr hat sich ganz den alten heimischen Sorten Lagrein und Blatterle verschrieben, die er zu eleganten und charakteristischen Weiß- und Rotweinen ausbaut.
39100 Bozen
Tel.: +39/0471/97 83 88
Bezugsquelle: www.gute-weine.de