
Der perfekte Teller
Design am Teller funktioniert in der Restaurantküche. Nachahmungsversuche zu Hause enden hingegen meist fatal.
Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos von Michael Reidinger
Es gibt keine Regeln“, nimmt Landhaus Bacher-Küchenchef Thomas Dorfer die Hoffnung, dass es einen Kanon für Präsentationstechnik auf dem Niveau eines Spitzenrestaurants gibt. In seiner Lehrzeit wurde Fleisch noch vorne platziert, rechts davon das Gemüse und links die Sättigungsbeilage. Später griff die Kochavantgarde beim Finalisieren ihrer Gerichte zur Pinzette, setzte Gelee-Würfel, platzierte exakt abgezählte Punkte und markierte Teller mit Bremsspuren. Mittlerweile sind auch hier die Grenzen verschwommen. „Wenn ich drei Köchen aus meiner Küche die gleichen Komponenten gebe und ihnen freie Hand beim Anrichten lasse, entstehen drei komplett unterschiedliche Resultate.
Anhaltspunkte lassen sich bei den Spitzenköchen dennoch finden: „Teller mit 50 Dingen drauf bleiben mir nicht so in Erinnerung wie klare, puristische Gerichte – die brennen sich bei mir im Hirn ein“, so der Salzburger Andreas Döllerer, der zu den besten Köchen des Landes zählt. Seine Vermutung, warum aufwendige Kochexperimente in der privaten Küche geschmacklich meist gelingen, aber optisch verunglücken: „Man kann zwar Talent haben, aber grundsätzlich gilt: Die Erfahrung macht es aus. Je mehr man ausprobiert, desto sicherer wird man beim Anrichten.“ Viele scheitern schon an der Planung im Vorfeld. „Man sollte sich unbedingt Gedanken machen, wie das Gericht ungefähr am Teller aussehen soll. Wenn man das nicht macht, legt man kopflos eine Komponente auf den Teller und verflucht sich im nächsten Moment, weil sie an dieser Stelle nicht passt, flach oder doch hoch angerichtet besser gewesen wäre.“ Es hilft, sich ein Bild im Kopf oder eine Skizze zu machen, wie das Gericht final aussehen soll, um es dann Schritt für Schritt umzusetzen.“
Kalbsbrust mit Basilikum, Zucchini & Perlzwiebeln
Geflämmte Bachforelle mit fermentiertem Rotkrautsaft und Bergwacholderöl
Thomas Dorfer ortet fehlendes Equipment als weiteren Grund für Rückschläge beim Anrichten. „Wer ist schon so ausgestattet wie wir Köche in der Restaurantküche? Von technischen Geräten wie Dampfgarer, Pacojet, Thermomix und Co einmal abgesehen, sind es auch Hilfswerkzeug und Formen, an die man im normalen Einzelhandel gar nicht herankommt.“ Auch das Repertoire an Tellern wird von Dorfer als Aspekt angesprochen. „Ein und dasselbe Gericht hat auf einem anderen Teller gleich eine ganz andere Wirkung.“ Er rät zumindest zur Investition in größere Teller. „In Privathaushalten sind sie für den Hauptgang meist viel zu klein. Im Gegensatz zum Restaurant, wo auch mit kleinen Tellern gearbeitet wird, weil ein Gang den anderen jagt und die Portionen nicht so groß sein dürfen, wird zu Hause meist nur ein Gericht vor dem Hauptgang serviert, der mehr Platz am Teller vertragen würde.“ Dreißig Zentimeter Durchmesser sollte ein flacher Teller dann schon haben. Saucen würde er zu Hause erst bei Tisch angießen oder sie am Tisch einstellen, bevor sie unansehnlich auf den Tellern verrinnen. Kräuter verleihen dem Gericht hochgestellt mehr Frische als liegend. Wichtig ist auch, scheinbar banale Vorbereitungen zu treffen und etwa Kräuter rechtzeitig auf feuchte Tücher zu zupfen, damit sie nicht lasch und unschön oxidiert am Teller landen.
Gegrillter Rieddeckel mit Zwiebel-Oliven-Relish, Paprika-Harissa-Püree & Zwiebeln
Auf Salz gegarte Roscoff-Zwiebel mit Périgord-Trüffel, geschmorter Kalbszunge, Kaffee & Mimolette
Will man den Gast „steuern“, um zu verhindern, dass er einzelne Komponenten nacheinander isst, gibt es zwei Herangehensweisen. Für sein Dessert „Erinnerung an Kobe“ etwa, bei dem Andreas Döllerer reife Erdbeeren mit Sauerklee, Fichtensprossen, Alpensäuerling, Schottencreme, Kojireis-Eis und Verbene am Teller vereint, wäre eine Komponente für sich geschmacklich eindimensional. „Man hätte nur süß oder sauer im Mund. Es braucht die Mischung, um eine Harmonie im Mund herzustellen.“ Der Spitzenkoch legt die einzelnen Komponenten überlappend in einem Bogen auf einem flachen Teller auf, um zu erreichen, dass der Gast alles am Löffel hat. Kompakt und in die Höhe gearbeitet wäre eine Alternative, die sich in einem tiefen Teller oder einer Schüssel optisch gut umsetzen lässt. „Manchmal decken wir solche Gerichte auch noch mit etwas ab, sodass man gar keine andere Wahl hat, als mit der Gabel bis zum Boden durchzustechen. Das ist die sicherste Variante, die sich bei Desserts oder Zwischengerichten gut eignet.“ Flaches Porzellan wiederum gibt einzelnen Komponenten genügend Raum und macht beim Hauptgang Sinn. „So lässt sich vermeiden, dass es unübersichtlich am Teller wird oder dass alles in die Mitte des Tellers rutscht.“
Heinz Reitbauer, Steirereck-Küchenchef, setzt auf Intuition: „Vieles, das wir in unserer Küche machen, hat mit Gespür zu tun. Es ist nicht immer so analysiert, sondern hat mit dem eigenen ästhetischen Empfinden zu tun.“ Er hat eine Formel für sich gefunden: Geschmack und Proportion ergeben Optik. „Durch die Erarbeitung, wie die Produkte geschmacklich und proportional zueinander funktionieren, passieren Dinge am Teller, bei denen man gar nicht mehr auskommt, weil sie sich schlüssig ergeben. Man sollte da in keinem Fall zu verkopft sein.“ Der Spitzenkoch lehnt die Präsentation eines Gerichts an der Natur des Produkts an. „Man muss seine Schönheit sehen, dann wird es ganz einfach.“ Als weiteren wesentlichen Faktor für perfekte Präsentation unterstreicht Reitbauer auch das Timing. „Das Gericht muss schnellstmöglich auf den Teller. Je mehr Zeit man beim Anrichten braucht, desto mehr leidet die Ästhetik. Der Moment, in dem das Kräuterblatt um eine Spur schöner gelegt wird, ist der, in dem die Gesamtkomposition verliert. Jede Minute büßt jedes Element am Teller etwas ein, wenn man zu lange braucht. Frisch gekochte Pasta, noch dampfend mit einer Handvoll Kräutern bestreut und Sauce drauf, ist nicht topbar. Wenn die Proportion passt, die Schüssel richtig gewählt wurde und die Nudel noch lebt, ist der Teller perfekt.“
Pogusch-Lamm mit Puntarelle, Gewürzapfel und Bucheckern
Pompoen-Kürbis mit Tropea-Zwiebel und Kaviar
Döllerer’s Genießerrestaurant
Markt 56, 5440 Golling
Tel.: 06244/42 20-0
www.doellerer.at
Landhaus Bacher
Südtiroler Platz 2, 3512 Mautern
Tel.: 02732/829 37
www.landhaus-bacher.at
Steirereck
Am Heumarkt 2a, 1030 Wien
Tel.: 01/713 31 68
www.steirereck.at