
Fischen im Drüben
Vier Quereinsteiger züchten in einer Halle in Wien Donaustadt Nilbuntbarsch und Afrikanischen Raubwels und greifen dafür auf die nachhaltige Aquaponik-Technologie zurück. Mit dem gefilterten Abwasser der Fische düngen sie das Glashausgemüse nebenan.
Text von Claudia Schemerl-Streben · Fotos von Michael Reidinger
962,19 Kilometer Luftlinie legen 1.000 punktgroße Nilbuntbarsch-Setzlinge mit dem Frachtflugzeug von Amsterdam nach Wien-Schwechat zurück. Von dem Höhenunterschied unbeeindruckt, tummeln sich die gerade einmal 0,2 Gramm schweren Passagiere in einer Styroporbox mit integriertem Wasserbehälter. Nach Landung und Zollkontrolle setzen sie ihre Reise fort. Das Ziel der kleinen Exoten: die Gärtnereisiedlung Essling in Wien-Donaustadt.
300 Quadratmeter Fläche stellt Stefan Bauer, Landwirt in dritter Generation, den Fischen mit Ursprung in Asien und Afrika in seiner Gärtnerei als Lebensraum zur Verfügung. Zweieinhalb Jahre nach der ersten Ansiedlung bewohnen bereits 10.000 Nilbuntbarsche und Afrikanische Raubwelse – getrennt voneinander – eine Halle, die an sein Gewächshaus angrenzt. Die beiden Fischarten teilen ihre Vorliebe für tropisches Klima und warme Gewässer und fühlen sich bei den für sie eingestellten 26 Grad sichtlich wohl. Unterschiede ergeben sich allerdings bei den weiteren Anforderungen an das jeweilige Habitat: Während der Nilbuntbarsch gerne an der Oberfläche schwimmt, helle Standorte bevorzugt und von Lärm nicht tangiert wird, ist der Afrikanische Raubwels ein Tiefschwimmer, der die Dunkelheit präferiert und auf Krach mit Stress reagiert. Die Welse sind deshalb in einem geräumigen, dunklen Zwölf-Meter-Container untergebracht und von Außenreizen entsprechend abgeschirmt. Nur wenige Meter entfernt drehen die Nilbuntbarsche mit rötlich-rosa schimmernder Färbung und schwarzen Flecken in der lichtdurchfluteten Halle im Kollektiv ihre Runden und wechseln nur zwischendurch ihren Kurs flink und fast synchron, sobald Besuch vor den Wasserbecken steht – in der Annahme, dass sie eine Futterration erwartet.
Aufgeteilt werden die Fische nach Gewichtsklasse in insgesamt zehn Bassins. Im Babybecken wurlen sie noch zu Tausenden herum, nach rund zwei Monaten und einem kräftigem Wachstumsschub übersiedeln die Süßwasserraubfische in die Jugendbecken und im Anschluss in die Masterbecken, wo sie bis zu einem Gewicht von ca. 500 Gramm heranwachsen. Acht Monate lang leben die Nilbuntbarsche in der Indoor-Farm; jahreszeitenunabhängig im Dauer-Sommer und bei bewusst niedrig angelegter Besatzdichte. Auf den Einsatz von Gentechnik und Antibiotika wird in der Anlage zur Gänze verzichtet. Stattdessen setzt das Neo-Fischproduzenten-Team, bestehend aus den vier Landwirten Michael Berlin, Bernhard Zehetbauer, Gregor Hoffmann und Stefan Bauer, auf High-End-Technologie mit intelligenten Sensor- und Steuerungssystemen samt Sauerstoffeinspeisung. Aquaponik heißt die Methode, die Fischkultur und Gemüseanbau koppelt. Alle Becken sind in einem geschlossenen Kreislauf miteinander verbunden, das Wasser zirkuliert ständig und wird über einen Biofilter gereinigt. Dabei läuft das Abwasser aus den Fischtanks nonstop über ein grobmaschiges Kunststoffgerüst in Kastenform, auf dem ein Biofilm aus Mikroorganismen entsteht. Sie wandeln das giftige Ammoniak in Nitrit und infolge in Nitrat um, das den Fischen nur in hohen Konzentrationen schaden würde. Ein Großteil des gesäuberten Wassers wird über ein verzweigtes Rohrsystem an der Decke wieder in die Becken befördert. Der Rest, gerade einmal fünf Prozent, landet in einem Sammelbecken, durchläuft einen Feststofffilter und wird über separate Leitungen in das Glashaus nebenan gepumpt. Dort wird Gemüse (Melanzani, Gurken, Paradeiser und Chili wachsen in vier 60 Meter langen Reihen in Kokossubstrat auf insgesamt 400 Quadratmeter Fläche) über einen Tropfer mit dem nitratreichen flüssigen Fischdünger versorgt und der Wasserbedarf der Pflanzen dadurch zur Gänze gedeckt. Mit Chemie kommt die Kultur nie in Berührung – stattdessen werden Nützlinge eingesetzt.
Die ressourcensparende Aquaponik-Methode wird in Wien derzeit ausschließlich von den vier Landwirten angewendet, die sich ihr Know-how bei den Urban Farmers in Basel sowie der ECF-Farm in Berlin angeeignet und mit dem Gewässerbiologen Philipp Filzwieser einen Experten auf dem Gebiet ins Team geholt haben. Das definierte Ziel der Truppe: zukunftsorientiert und nachhaltig im urbanen Raum zu wirtschaften und Lebensmittel zu produzieren, die eine hohe Qualität besitzen. Das Wachstum des gefräßigen Nilbuntbarsches ließe sich von acht Monaten auch auf fünf Monate reduzieren. „Turbomäßiges Aufblasen interessiert uns aber nicht. Wir wollen ein gesundes, stressfreies und hochwertiges Produkt“, so Gregor Hoffmann. Überzeugt haben die Quereinsteiger damit nicht nur Privatkunden, sondern auch die gehobene Gastronomie. Etwa Spitzenkoch Silvio Nickol aus dem Wiener Palais Coburg, der die Fische aus der Wiener Indoor-Farm regelmäßig verarbeitet. Vor der Verkostung der ersten gelieferten Fische zeigte er sich bereits interessiert am Nilbuntbarsch, zögerte aber beim Wels. „Er ist ein schlammiger Fisch und oft verrufen wegen seines modrigen Geschmacks“, so Michael Berlin. „Wir haben aber nicht locker gelassen und darauf gedrängt, dass er auch den Wels probiert.“ Am nächsten Tag kam der Anruf aus dem Palais. Mit dem Feedback, dass er noch nie so einen guten Wels gegessen habe, wurde gleich die erste Bestellung dafür aufgegeben. „Geschmack und Struktur vom Fleisch haben mich sofort überzeugt“, schwärmt Coburg-Küchenchef Silvio Nickol. Zwölf bis fünfzehn Kilogramm pro Woche ordert der Spitzenkoch, um dem Raubfisch, der sein außergewöhnlich frisches Aroma dem Wiener Hochquellwasser verdankt, einen Gang zu widmen. Dazu werden zwei rohe Filets aufeinandergepresst, um die runde Korpusform des ganzen Fisches zu imitieren. Danach übergießt Nickol die Stücke wenige Minuten lang mit heißer brauner Butter. („So bekommt der Fisch einen schönen Nussbuttergeschmack und eine Farbe, ohne dass er scharf angebraten werden muss.“) Dazu serviert er eine Rolle aus hauchdünn gehobeltem Kohlrabi, die mit geräucherter Crème fraîche, Basilikum-Mayonnaise, Spinatcreme und Salzzitrone gefüllt ist, und finalisiert das Gericht mit Senfsaat-Vinaigrette.
Ungeduldig wartet Peter Fallnbügl, Küchenchef des Szene-Restaurants Heuer am Karlsplatz, jeden Mittwochabend schon auf die nächste Lieferung an Nilbuntbarsch im Ganzen und bestellt derzeit jede Woche zehn Stück mehr. „Ich bin ein Fan von Urban Farming“, so Fallnbügl, vor dessen Küchentür sich ein 2.000 Quadratmeter großes Open-Air-Versuchslabor (Wein, Gemüse- und Getreidepflanzen in Hochbeeten, Obstbäume, Bienen und Schnecken) befindet. „Die Qualität ist unfassbar, das Fleisch ist super im Biss, zerfällt nicht und schmeckt überhaupt nicht wie sonst ein Fisch in Österreich. Er ist einfach extrem frisch im Geschmack“, beschreibt er den Nilbuntbarsch im nächsten Satz überschwänglich. Die Begeisterung für das Wiener Produkt hat die Heuer-Mannschaft dazu bewogen, einen ungewöhnlichen Schritt zu gehen: „Wir haben den Fisch beim Preis intern gestützt, damit wir ihn auf die Karte setzen und unseren Gästen zu einem moderaten Betrag anbieten können.“
Als Raw-Food wurde der Barsch von ihm mit Rote-Rüben-Sprossen, Rote-Rüben-Creme, Gel von Salz-Orangen und kross gebratener Fischhaut serviert: „Aus den dicken Filetstücken haben wir Sashimi geschnitten und den Rest als Ceviche im Glas dazugestellt, damit auch wirklich der ganze Fisch verarbeitet wird.“ Für die warme Jahreszeit hat sich der Kreativkopf vom letzten Bali-Urlaub inspirieren lassen, wo Fisch so auseinandergeschnitten wird, dass er am Teller wie ein Schmetterlingsdruck aussieht. „Die Optik mit zerteiltem Fischkopf war den meisten Gästen dann aber doch zu wild.“ Für die abgesoftete Version köpft er den Fisch, grillt ihn im Ganzen und kombiniert den Barsch mit Passionsfrucht aus dem Feuer, aus der man das warme, saftige Fruchtfleisch löffeln kann, sowie mit Salsa aus Minze, Limetten, geraspelten Paradeisern und Zitrone. „Den Fischkopf übergieße ich mit heißem Olivenöl, sodass sich die Schuppen aufstellen, und lege ihn demonstrativ dazu.“ An einem weiteren Gericht tüftelt der Heuer-Küchenchef noch, der auch einen Teil des aquaponisch angebauten Gemüses aus Essling bezieht: „Ich möchte den ganzen Kreislauf der Aquaponik-Anlage inklusive Pflanzenproduktion am Teller darstellen.“
Das Pionier-Fisch-Projekt der Truppe ist als „work in progress“ zu verstehen: Während Nilbuntbarsch und Wels derzeit noch mit einer hochwertigen Mixtur, bestehend aus 70 Prozent pflanzlichem Anteil (Soja und Weizen) und 30 Prozent Fischmehl, gefüttert werden, ist für heuer ein Pilotversuch in Planung, bei dem Fisch- durch Insektenmehl substituiert werden soll. Umsetzen wollen die vier Landwirte das Experiment mit dem oberösterreichischen Start-up Ecofly von den 26-jährigen Querdenkern Simon Weinberger und Michael Forster, die sich auf die Zucht der Schwarzen Soldatenfliegen spezialisiert haben. Dazu müssen die kleinen Insekten allerdings mit Algen gefüttert werden, um den Fischen die nötige Menge an Omega-3-Fettsäuren zuführen zu können. Mit Ideen überschlagen sich Bauer, Zehetbauer, Berlin und Hoffmann auch bei den Setzlingen und neuen Fischarten. Während der Wels einen vergleichsweise kurzen Weg von einer Zucht aus dem Nordburgenland nach Wien zurücklegt, ließe sich der ökologische Fußabdruck, der durch die Flugreise der Barsche entsteht, reduzieren. Um den Nachhaltigkeitsgedanken konsequent durchzuziehen und Transportwege zu minimieren, soll der Fisch bald in der Wiener Farm vermehrt werden.
Greifbar nahe am Ziel ist das Team bei dem Experiment, das durch die Gastronomie zustande gekommen ist. Das Interesse an einem Barsch mit höherem Fleischanteil hat dazu geführt, dass ein eigenes Wasserbecken reserviert wurde. Dort tummeln sich schon die ersten tausend Silberbarsch-Setzlinge, die im Gegensatz zum Nilbuntbarsch 100 Gramm mehr Gewicht erreichen und voraussichtlich im Herbst ausgeliefert werden. Freuen können sich die Spitzenköche auch über den nächsten Wurf: Wenn es nach den umtriebigen Machern der Aquaponik-Anlage geht, sollen in der Farm auch bald heimische Fische wie Schleie und Huchen mitschwimmen.
Der Nilbuntbarsch erreicht innerhalb von acht Monaten ein Gewicht von 500 Gramm und wird im Ganzen verkauft. Der Afrikanische Raubwels wird innerhalb von sechs bis sieben Monaten zwischen 1,2 und 1,5 Kilogramm schwer und als Filet angeboten. Bezogen werden können die beiden Fischarten und das aquaponisch angebaute Gemüse – Melanzani, Gurke, Paprika, Chili und Paradeiser – aus dem Glashaus nebenan entweder ab Hof (Donnerstag, Freitag und Samstag), über den Web-Shop (die Lieferung bis vor die Wohnungstür erfolgt freitags) oder bei Handelspartnern wie dem Gourmetsupermarkt Meinl am Graben in Wien oder dem Ölgreißler in Groß Enzersdorf.
Blün
Schafflerhofstraße 156
1220 Wien, Tel.: 01/774 13 33
www.bluen.at
Ab-Hof-Verkauf Fisch/Gemüse:
Do. 9–17, Fr. 9–19,
Sa. 9–13 Uhr
Restaurant Silvio Nickol
Coburgbastei 4, 1010 Wien
www.palais-coburg.com
Heuer am Karlsplatz
Treitlstraße 2, 1040 Wien
www.heuer-amkarlsplatz.com