
Pump up the volume
Es ist Zeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Vielleicht beschäftigen sich darum viele Küchenchefs mit dem Herz.
Text von Alexander Rabl
Ein Steak kann auch ein Schimpanse zubereiten. Das sagt Max Stiegl, Küchenchef und Patron im Gut Purbach. Muskelfleisch aka Filet galt als Inbegriff von kulinarischem Luxus, doch mittlerweile ist es ein wenig démodé. Nur ein ganz bestimmter Muskel hat es Köchen und Essern angetan. Sie haben ihr Herz ans Herz verloren. Eine Innerei, welche ein Mythos von Kraft und Energie begleitet, Bestandteil klassischer österreichischer Küche, gleichzeitig ein noch wenig erforschter Kontinent in der Welt der Innereien. Stiegl ist nicht der Einzige, der hier mit dem Herzen dabei ist.
Herz wird nie so populär wie Steak. Einer der Gründe ist: Es gibt einfach zu wenig davon, und die Furcht vor dem kulinarisch unbekannten Lebenszentrum aller Lebewesen ist beträchtlich. „Wenn wir ein gutes Herz bekommen, ist die Küche mit besonderem Eifer bei der Sache“, plaudert Hannes Müller aus der Schule. Einmal aß der Autor dort langsam gekochtes Schweineherz, dazu Zwiebelfond und Zwiebel, es war ein einprägsames Erlebnis. Schweineherz ist aber eher die Ausnahme in Müllers Forellen-Küche am Weissensee, wo er gemeinsam mit Martin Nuart an einer zeitgemäßen Naturküche arbeitet, die konsequent die Saisonen, die Wiesen, Gewässer und Wälder der Umgebung in den Speiseplan einarbeitet. Apropos Wälder: „Es ist eine große Ehre, wenn dir ein Jäger das Herz eines Rehs überlässt“, sagt Hannes Müller. Denn es heiße ja nicht umsonst: „Das Herz gehört dem Jäger.“
Meistens wird es kurz nach dem Abschuss roh verspeist. Herz vom Reh als Privileg für einen guten Koch. Gleiches gilt für die Rehleber. Müller widmet sich dem zarten Muskel mit Hingabe und Zeit. „Wir garen das Herz in der Resthitze des Brotbackofens, und das dauert eine ganze Nacht“, erzählt Müller. „Dazu verwende ich eine bereits fertige Jus, diverse Alkoholika, und einmal hatten wir sogar süßes Bier.“ Bei einer Temperatur von um die 80 °C werde das Herz dann besonders interessant in der Konsistenz und berste geradezu vor Geschmack und Aromen. „Salz und andere Mineralien machen das Fleisch mürbe und zart“, so Hannes Müller, der bei der Zubereitung bei niedrigen Temperaturen auf Hilfestellungen wie Vakuum oder Wasserbad verzichtet.
Mythen erzählen, ein rohes Tierherz wäre eine althergebrachte Form von Power Food. Max Stiegl schwärmt von rohem Taubenherz auf getoastetem Brot mit Olivenöl. Er sagt: „Warum soll ich das nicht roh essen können, wenn es frisch ist?“ Geflügelherzen sind zart und fein. Der Herzmuskel eines Pferdes bietet den Zähnen schon mehr Widerstand, weshalb sich Stiegl ein Rezept einfallen ließ, wie er das rohe Herz genießbar hinbekommt. Die Methode hat er sich von der peruanischen Nikkei-Küche abgeschaut. Er schneidet das rohe Pferdeherz dünn auf und badet es kurz vor dem Servieren gemeinsam mit Oktopus in einer animierenden Säuremischung aus Yuzu, Eberrauten- und Limettensaft. Ergebnis: frisch und delikat. Auch die Hühner- und Taubenherzen gart er nicht lange, fügt sie fast fertig gekochter Fregola Sarda hinzu und lässt sie noch einige Zeit ziehen. „Das Herz ist die Diva und das Edelste unter den Innereien“, sagt Stiegl.
Herz sei, wenn man es richtig gemacht hat, mit einem Top-Thunfisch zu vergleichen. Stiegl macht keinen Hehl daraus, dass er Herzen liebt: „Einerseits macht sich das Herz nie wichtig, aber andererseits geht ja nichts ohne Herz. Deshalb steht es da wie ein Monument.“ Und warum ein aufmerksamer Esser Herz einfach lieben muss, sagt er auch: „Es ist komplett fettarm. Gut durchblutet und voller Geschmack. Und wie das Tier ernährt wurde, das schmeckt man dem Herzen an.“ Seine Pferdeherzen bezieht Stiegl von einem Wiener Fleischhauer, der unter anderem für seinen Pferdeleberkäse bekannt ist. Man kann generell sagen, dass dort, wo Pferd öfter auf dem Speiseplan steht, etwa auf Sardinien, Pferdeherz zu den Standards der Innereienküche zählt. Das Gegenstück zum Pferd wäre in unseren Breiten das Rind. Oder das Kalb.
Heinz Reitbauer bereitet Kälber – und Lämmer – aus eigener Zucht zu. Von Kopf bis Schwanz, von Hirn bis Herz. Power Food, vielleicht: „Herz ist jedenfalls voller Vitamine“, sagt Heinz Reitbauer, „und es schmeckt einfach, wie die meisten Innereien.“ Im Steirereck arbeitet Reitbauer nicht nur mit den mittlerweile zu gewisser Popularität gelangten Innereien wie Bries und Leber, sondern beschäftigt sich auch mit Hirn, Lunge, Milz und Herz. Fragen wir doch gleich, wovon beim Hausarzt oft die Rede ist: Ist es beim Tier wie beim Menschen, hat das Leben auf den Zustand des Herzens Einfluss? „Ein Vergleich mit Herzen aus industrieller Tierhaltung fehlt mir, ehrlich gesagt“, sagt Reitbauer. „Wir verarbeiten nur die Herzen, die wir selber haben, haben also kaum Vergleichsmöglichkeiten.“ Im Steirereck habe man immer schon viel mit Herz gemacht. Kurz im Archiv gestöbert: In einer alten Österreich-Ausgabe des Bookazines Gourmet findet man ein Gericht namens Gebratenes Kalbsherz mit Kalbshirnpudding, damals noch aus der Küche Helmut Österreichers. Sein Nachfolger Heinz Reitbauer liebe am Herz, wie er sagt, auch die Textur: „Einzigartig.“ Seine Mannschaft servierte auch schon Rinderherz, gebeizt in einer Säuremarinade mit Limetten, Physalis und mildem Chili. Reitbauer weiter: „Einmal haben wir Kalbsherz einfach eingesalzen, für mehrere Wochen luftgetrocknet und danach wie ein Gewürz über andere Gerichte drübergehobelt.“ Ob roh, gebeizt, gehobelt – „Ich mag es auf beide Arten gerne, also auch sanft gebraten, es soll nur nicht durch sein.“ Faszinierend sei außerdem das Thema Geflügelherzen, so Reitbauer: „Da hat man den Geschmack des jeweiligen Geflügels in konzentrierter Form. Taubenherzen oder auch Hühnerherzen schmecken kräftig nach den Tieren, und doch: Wenn man sie nebeneinanderliegen hat, sind sie geschmacklich für den nicht in der Materie geschulten Esser gar nicht so leicht zuzuordnen.“
„Es ist altmodisch und eigentlich vergessen“, sagt Philip Rachinger. Wirklich? Er meint die kontemporäre und in mancherlei Hinsicht noch nicht ganz zeitgemäße französische Hochküche. Die Franzosen fänden Herz unmodisch.
Rachinger sieht das natürlich anders. „Cool ist dabei für mich auch, dass es ja ein altes Rezept des Spickens gibt.“ Spicken ist ein Thema, das gerade durch den Kopf des Mühltalhof-Küchenchefs geht. Rachinger arbeitet nicht nur mit Tierherz, auch das Herz der Tomate reizt ihn, und am liebsten die Kombination. Er sagt: „Das Ochsenherz wird bei uns gebraten und dann auf offener Kohle gegrillt, sodann mit dem schärfsten Messer im Haus aufgeschnitten. Eine Wurstschneidemaschine ginge auch. Immerhin hat ein Ochsenherz schon einiges an Blut gepumpt.“ Gemeinsam mit der Süße und Fruchtigkeit eines Paradeisers gerate das vom Grillen rauchig-bittere-umamige Herz zur Delikatesse.
Nicht jeder Küchenchef besitzt eine eigene Zucht oder hat so gute Kontakte zu Jägern. Doch alle wissen: Am besten schmecken Innereien, wo es gutes Fleisch aus kleinteiliger Haltung gibt, also am Land, also etwa im Salzkammergut. In Nussdorf am Attersee steht der Braugasthof Aichinger. Hier kehrten die Gäste schon immer gerne ein, um österreichische Innereienküche zu essen. Sie wird traditionell zubereitet, die Zutaten wachsen praktisch vor der Haustüre. Beim Aichinger dreht sich das Thema Innereien fast immer ums Kalb: Bries, Kopf, Niere, Leber. Julian Schwamberger, seit zwei Jahren Küchenchef in Nussdorf, arbeitet seit seiner Ankunft an einem merkbaren Upgrade der Küche. Der klassischen Zubereitung von Innereien bleibt er dennoch verbunden, und das ist bei ihm auch familiär bedingt. Schwamberger erzählt: „Der Opa mütterlicherseits kam aus Böhmen, und obwohl er kein Koch war, konnte er sehr gut kochen. Gespicktes Rahmherz war einer seiner Klassiker, oder Milzschnitten. Für mich sind diese Gerichte pure Emotion, da kriege ich heute noch Gänsehaut.“
Das Kalbsherz in Rahmsauce, das beim Aichinger selten, aber doch immer wieder auf der Karte steht, wenn die Zutaten da und von überzeugender Güte sind, ist köstlich, mit dezentem Biss und in einer Sauce, die einen glauben lässt, Nussdorf liege im Burgund. „Die Sauce zu meinem Herz mache ich ähnlich wie für ein Beuschel, gebe aber dann noch eine Kalbsjus dazu und etwas Obers.“ Die Ware müsse eben stimmen. „Wir kriegen das Kalbfleisch meistens über einen Metzger unseres Vertrauens, den Vater von unserem Sommelier Philipp Gerbel. Farbe und Geruch lassen auf die Qualität schließen. Die Farbe sollte eher ins Rot gehen, da darf nichts grau oder blass sein.“ Schwamberger blanchiert das Herz erst mal in einem Gemüsefond, dann entfernt er alle Röhren und anderes Beiwerk. Ein bisschen Essig kann nicht schaden. Danach wird das Herz etwa in Streifen geschnitten. Wie lange dauert das? „Ich prüfe mit einer Gabel, ob das Fleisch gar ist.“
Natürlich werfen wir noch einmal einen Blick nach Wien, der Stadt mit dem großen Herz für Innereien. Robert Letz kocht nicht nur ein gutes Kalbsbeuschel von animierender Konsistenz, bei dem, wie er sagt, der große Anteil an Kalbsherz für den Biss und die Freude am Essen sorgt. Er hat in seinem Lokal, dem Winklers zum Posthorn, auch andere Rezepte in der Küchenlade. Letz hatte, wie er erzählt, einmal ein Herz vom Kobe-Beef Gerhard Zadrobileks auf dem Brett. Die Marmorierung des Wagyu-Rinds machte sich allerdings beim Herz nicht bemerkbar. „Doch der Geschmack war einzigartig“, erzählt Letz. Klar, 36 Monate in freier Natur und das beste Futter, das tut gut. Letz verarbeitet das Rinderherz roh, und statt Zitrussäure wie bei Stiegl und Reitbauer gab es für die kräftige, fein gehackte Pumpe Sojasauce und Mandarinensaft.
Max Stiegl
Heinz Reitbauer
Philip Rachinger
Julian Schwamberger
Robert Letz