
Meeresfrisch ins Netz
Zwei Visionäre aus Österreich züchten Exoten, um die man sich anstellen muss. Walter Grüll und Michael Wesonig haben Fische aus fernen Gewässern heimisch gemacht.
Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos von Michael Reidinger
Wenn so ein U-Boot auf einen zuschwimmt, ist das schon sehr beeindruckend“, schwärmt Walter Grüll. Gemeint ist der majestätisch anmutende Hausen-Stör (auch bekannt als Beluga), der durch die Teichanlage des Salzburger Fischzüchters seine Bahnen zieht. In freier Wildbahn nimmt der dunkelgraue Gigant eine Länge von über sechs Metern an und kann die Gewichtsklasse von zwei Stieren erreichen. Rücken und Seiten des grätenlosen Fisches sind mit Schildern übersät; er besitzt eine charakteristisch lange Schnauze und eine haiartige Schwanzflosse. Im Schwarzen und Kaspischen Meer zuhause, zieht es den Wanderfisch zur Vermehrung Richtung Süßwasser. Dafür legt er beachtliche Strecken von mehr als 2.000 Kilometern zurück.
Bei Walter Grüll ist der Beluga-Stör Teil einer Fischpopulation, die sich über knapp 20 Teiche aufteilt. Von weltweit 27 Störarten hat er zehn in Österreich heimisch gemacht und verkauft Kaviar seit knapp 20 Jahren. Zu seinen Schützlingen zählen der Sibirische und der Russische Stör, das Großkaliber Acipenser Transmontanus (auch als Weißer Stör bekannt), der in Grülls Freiluftzucht nahe München 100 Kilogramm schwer werden kann, und der kleinwüchsige Albino-Stör. Seine Haut ist aufgrund eines Gendefekts zur Gänze weiß gefärbt. Mit maximal fünf Kilogramm hat er sein Endgewicht erreicht. Der weiß glänzende Kaviar dieser Störart gilt als der teuerste der Welt und wird mit 15.000 Euro pro Kilogramm gehandelt. Pro Jahr werden vom Albino-Kaviar weltweit nicht mehr als zehn Kilogramm produziert. Grund ist die Seltenheit dieses hochsensiblen Fisches, der besonders behutsam aus dem Wasser gefischt werden muss, damit ihm nicht das Rückgrat gebrochen wird. Wegen seiner naturgegebenen Empfindlichkeit auf Sonne wurden eigens Holzkonstruktionen mit Blechdach über einen Großteil der Teichflächen der Albino-Störe gebaut, sodass sie sich bei starker Sonneneinstrahlung zurückziehen können.
Bis zu 16 Jahre lang wachsen die weiblichen Störe in der Fischzucht mit abgestimmter Strömung und Sauerstoffzufuhr über sogenannte Paddle Wheels heran – bei Wassertemperaturen, die die Natur vorgibt. „Natürlich könnte man das Wachstum der Tiere mit wärmeren Temperaturen beschleunigen, bei uns schwimmen sie aber im Winter in saukaltem Wasser und im Sommer bei bis zu 18 Grad, wie es die Jahreszeit hergibt. Ich will ein natürliches Produkt, kein künstlich erzeugtes.“ Ihre Geschlechtsreife haben die Störe bereits nach vier bis sechs Jahren erreicht, Grüll gibt seinen Tieren bewusst bis zu drei Mal so viel Zeit. „Das muss man sich zwar auch leisten können, aber man wird für die Geduld belohnt. Die Kaviarmenge steigert sich dadurch. Der Fisch laicht ja nicht ab, sondern die Eier werden vom Körper resorbiert. So gibt der alte Kaviar dem neuen Nahrung, um wieder zu wachsen.“ Ob Menge und Qualität des Kaviars stimmen, wird von Grüll per Ultraschall kontrolliert. „Auf dem Bild erkennt man, ob die Eier eng nebeneinanderliegen und nicht in zu viel Fett eingebettet sind. Es kann durchaus sein, dass ein riesiger Fisch mit 30 Kilogramm nur 200 Gramm Kaviar gebildet hat, obwohl er idealerweise drei bis vier Kilogramm enthalten sollte.“ Sind die Kriterien erfüllt, werden die Tiere in Freiluftbecken mit Trinkwasserqualität nach Salzburg gebracht, wo sie den Stress der Reise abbauen können. „Ich will einfach, dass es meinen Tieren gut geht. Andere machen das nicht, weil ,time is money‘, da werden die Fische ausgeladen, geschlachtet, Kaviar entnommen – fertig.“

Nach ein paar Wochen in den mit Videokameras streng bewachten Becken werden die Störe ein weiteres Mal kontrolliert, und im Anschluss wird per Biopsie eine winzige Menge Kaviar entnommen. Dabei wird ein mikroskopisch kleiner Schnitt vorgenommen und mit einer Nadel die Kaviarqualität final überprüft. Nach diesem Check wird der Fisch per Kopfschlag getötet („andere Methoden wie Elektroschock kommen für mich nicht infrage, auch wenn sie gesetzlich gedeckt sind“) und in der nur wenige Autominuten entfernten Produktion, die an Fischgeschäft und Bistro von Grüll angeschlossen ist, der Kaviar entnommen, von Hand gereinigt, mit Steinsalz vermengt und abgefüllt. Das Fischfleisch verarbeitet der radikale Qualitätsdenker in seiner Produktion zu Konserven (er füllt Filets von zehn Störarten ab), verkauft es über die Budel seines Fischgeschäfts und beliefert die österreichische Spitzengastronomie. Geschätzt wird das Störfleisch vom Salzburger Spitzenkoch Andreas Döllerer, der den Fisch regelmäßig in seine alpinen Menüs einbaut. „Für mich braucht es am Teller einen Kontrapunkt zum Stör, der einen durchaus kräftigen Fischgeschmack besitzt.“ Er brät das Filet ohne Haut kurz in Butter an, streicht es mit Powidl ein und streut Gewürzbrösel darüber, die mit schwarzem, Langem und Kubeben-Pfeffer ordentlich Schärfe abgeben. Als weitere Komponenten wählt er eine Eigenversion von japanischen Umezuke-Zwetschken (saftige Salz-Essig-Zwetschken) und richtet den Fisch mit Schwarzbrotkren auf Verjuskutteln an.
Wichtig ist bei der Zubereitung wie bei kaum einem anderen Fisch, den Stör ein paar Tage abliegen zu lassen, damit sich das Fleisch entspannt.“ Den Fisch holt sich Andreas Döllerer zwei Mal wöchentlich von Walter Grüll ab – in filetiertem Zustand. „Bei anderen Fischen ist uns der eigene Spezialzuschnitt wichtig, aber beim Stör verlassen wir uns auf Walter Grüll.“ Den Kaviar kombiniert Döllerer mit in Fenchelsaft gebeiztem Saibling, den er wie Sashimi dünn aufschneidet und mit einem Sud aus brauner Butter und Molke angießt. „Es ist ein reduziertes Gericht, damit man sich auf die einzelnen Komponenten konzentrieren kann. Der Sud mit dem Kaviar und dem Fisch ergibt einfach ein tolles Gesamtaroma.“ Grülls Kaviar findet sich immer auf der Speisekarte des Spitzenkochs – als Dosenprodukt und stets in einem eigenen Gericht. „Wir haben den besten Kaviarproduzenten vor der Haustür, da wäre es fahrlässig, den Kaviar nicht ständig anzubieten.“
Regelmäßig beliefert werden auch Karl und Rudi Obauer, die Stör im Ganzen ordern und in ihrer Restaurantküche in Werfen nahezu alles davon verarbeiten. Abschnitte werden etwa mit Weißwein, Hühnerfond und Schalotten und ein wenig Chili zehn Minuten gekocht, abgeseiht und mit Sauerrahm, Crème fraîche, Sardellenpaste und Wasabi zu einer hocharomatischen Creme gemixt. Mit einem Löffel Grüll-Kaviar geadelt, verköstigten die Brüder damit 350 Gäste im Rathaus beim Life Ball 2019. Fabriziert werden aber auch Cracker, Suppen und Currys vom Stör. In gedämpftem Zustand wird der Fisch mit den fruchtigen Noten vom Mark vollreifer Paprikaschoten kombiniert und mit Rohmilchbutter, unbehandelten Zitronen, Karfiol und Grüll-Kaviar serviert. „Wir sind bekennende Fans des Dämpfens. Es ist eine schonende Garmethode, und der Fisch glänzt dann regelrecht. Außerdem wird der Eigengeschmack des Störs so nicht verfälscht.“

Ortswechsel. Weiz, 180 Kilometer Luftlinie von Werfen entfernt: üppige Waldlandschaft, Wiesen und mittendrin eine Halle, in der sich in nahezu 80 Becken Tausende Fische tummeln. Den originellen Lebensraum hat Züchter Michael Wesonig für sie geschaffen. Der studierte Holztechniker und leidenschaftliche Fliegenfischer beschloss vor rund sieben Jahren, in die Fischzucht einzusteigen. Er baute im Naturpark Mürzer Oberland eine biologische Freibeckenanlage für Saiblinge, Huchen, Marmorata-Saiblinge und Lachse, mit denen er die österreichische Gastro-Elite versorgt. Kurze Zeit später übernahm er eine seit Jahren leer stehende Tischlerei in Weiz. „Zunächst ohne einen konkreten Plan. Ich dachte einfach, dass es ein guter Platz für Experimente wäre.“ Geworden ist daraus eine hochtechnologische Indoor-Zuchtanlage mit nachhaltigem Aquaponik-System, die etappenweise nach den Vorstellungen von Wesonig wächst. In mehrere Einheiten und Anlagen unterteilt, sind in der geschlossenen Fischfarm nicht nur Zander, Wels und Garnelen untergebracht.
Für sein neuestes Projekt – er hat Meeresfische in der Steiermark angesiedelt – erhielt der Züchter den Slow Food Styria Award. „Von Aquakulturen im Meer halte ich nichts. Die Fische nehmen alle Verschmutzungen im Wasser auf, und konventionelle Fischzuchten zerstören wiederum ihr eigenes Biotop.“ Deshalb wurde er aktiv und begann, eine regionale, ressourcenschonende Alternative auszutüfteln.
Auf 600 Quadratmetern Fläche drehen Doraden, Wolfsbarsche, Barramundis (tropischer Seebarsch) und Rote Trommler in Salzwasserbecken ihre Runden. Die Meeresfische bewohnen geräumige Bassins mit etwa sechs Metern Durchmesser und zwei Metern Höhe und schätzen das natürliche Tageslicht, das durch das Dach der Tischlerei einfällt. Dem auf weniger als 25 Grad temperierten Wasser werden ausschließlich Mineralien zugesetzt, der Einsatz von Chemie oder Antibiotika ist für Wesonig tabu. Verzichten kann er darauf nicht nur wegen der hohen Wasserqualität, sondern auch aufgrund der geringen Besatzdichte und des geschlossenen Systems, mit dem der 40-Jährige wetterunabhängig 365 Tage im Jahr arbeiten kann. Die Setzlinge mit einem Gewicht von 0,1 Gramm bezieht Wesonig aus Fischzuchten in Europa. Zu Tausenden werden die punktgroßen Winzlinge in mit Wasser und Sauerstoff angereicherten Plastiksäckchen in Styroporboxen mehrmals im Jahr nach Weiz geliefert. Dort wachsen die Meeresbewohner wie der Rote Trommler (seinen Namen verdankt er seiner orange-rötlichen Färbung am Rücken und den imposanten Trommelgeräuschen, die das Männchen in der Paarungszeit von sich gibt) etwas mehr als ein Jahr lang bis zu einem genussfertigen Gewicht von maximal zwei Kilogramm heran. Dorade und Wolfsbarsch erreichen in dieser Zeit ein Gewicht zwischen 500 und 600 Gramm.
Abnehmer hat der Fischzüchter bei der Spitzengastronomie in ganz Österreich gefunden. Während das japanische Restaurant Shiki in Wien den japanischen Kirschlachs ordert, ist Richard Rauch in Trautmannsdorf von den steirischen Meeresfischen überzeugt. „Die Struktur vom Wolfsbarsch besitzt eine wunderschöne Festigkeit, das ist für mich immer ganz spannend. Außerdem hat der Fisch ein leicht nussiges Aroma.“ Der Spitzenkoch dämpft den Wolfsbarsch, kombiniert ihn mit einer Creme von gerösteten Kastanien, glacierten Kastanien und gießt ihn vor dem Gast mit einem Dashi aus Fischkarkassen, geröstetem Braunschweigerkraut und Zwiebeln großzügig auf, sodass der Fisch regelrecht darin schwimmt. „Das ergibt ein intensives Krauterlebnis, das mit der leichten Süße der Kastanien perfekt zum nussigen Aroma des Fisches passt.“ Andreas Krainer, Küchenchef des gleichnamigen Restaurants im steirischen Langenwang und Mitglied der Jeunes Restaurateurs d’Europe, vereint den Meeresfisch hingegen gerne mit intensiven Komponenten.Knusprig gebraten schickt er den Branzino etwa mit Polenta vom Roten Hausmais (einer Ursorte), Kalbskopf, Mangold und Garnelen von Wesonigs Fischfarm aus der Küche. Als einer der ersten Kunden („wir haben sofort den Huchen bei Michael Wesonig bestellt“) war Krainer auch vom neuesten Meeresfischprojekt überzeugt: „Mit dem geringen Wasserverbrauch ist die Anlage das Nachhaltigste, das er derzeit bei uns gibt. Aus direkter Umgebung einen Branzino zu bekommen – dafür war ich dankbar. Das Fleisch ist fest, und man merkt sofort, dass es ein langsam gewachsener Fisch ist, der mit dem Original aus dem Meer mithalten kann.“
Zurück nach Werfen, wo Rudi Obauer noch immer von Walter Grüll und seinen Produkten schwärmt. „Wenn man ihn kennt, weiß man, was er für ein Qualitätsmensch ist.“ Noch heute erinnert er sich an ein Geburtstagsgeschenk des Störzüchters: eine Dose Kaviar vom Albino-Stör. „Da muss man sich hinsetzen, ehrfürchtig und voll konzentriert genießen. So etwas isst man nicht einfach so – das muss eine Zeremonie sein.“
Rezepte
Andreas Döllerer, Genießerrestaurant Döllerer, Golling
Rudi und Karl Obauer, Obauer, Werfen
Richard Rauch, Geschwister Rauch, Trautmannsdorf
Andreas Krainer, Restaurant Krainer, Langenwang
Fischhandel u. -zucht Grüll
Neue-Heimat-Straße 13, 5082 Gröding
Tel.: 06246/754 92
www.gruell-salzburg.at
Fischzucht Michael Wesonig
Naturpark Mürzer Oberland
Tel.: 0676/552 06 00
www.michis-frische-fische.at
Döllerers Genusswelten
Markt 56, 5440 Golling
Tel.: 06244/42 20-0
www.doellerer.at
Geschwister Rauch
Trautmannsdorf 6, 8343 Bad Gleichenberg
Tel.: 03159/41 06
www.geschwister-rauch.at
Krainer
Grazer Straße 12, 8665 Langenwang
Tel.: 03854/20 22
www.hotel-krainer.com
Obauer
Markt 46, 5450 Werfen
Tel.: 06468/52 12-0
www.obauer.com